Rezension

Dietrich Gondosch
Dietrich Gondosch
20. Oktober 2005
Buchbesprechung

Günter Rohrmoser: "Dekadenz und Apokalypse
Thomas Mann als Diagnostiker des deutschen Bürgertums"


Wenn der Philosoph Günter Rohrmoser sich an Thomas Manns „Zauberberg“ und „Dr. Faustus“ macht, dann kann man sicher sein, dass dabei am Ende keine literaturästhetische Betrachtung herauskommt. Rohrmoser zwingt den Leser auch in seiner neuesten Publikation in die Konfrontation mit der Gegenwart, d.h. dem Zustand der bürgerlichen deutschen Gesellschaft heute. Wenn der Leser anhand des Mann'schen „Flachland“-Begriffs in das geistige Flachland bundesbürgerlicher Realität geleitet wird, so darf er sich überlegen, ob dies für ihn genüsslich oder peinlich wird, ob „hohles Schweigen“ oder „Langeweile“ ihn bereits ergriffen haben.

Die Gesellschaft ist krank – analog zur Belegschaft des Zauberbergs- , aber in Krankheit liegt die Chance der Erkenntnis, dass der „Mensch mehr ist als blosse Physis“. Rohrmoser beleuchtet hier aus neuer Perspektive seine an anderer Stelle deutlich ausgesprochene Warnung vor der kränkenden „Totalökonomisierung des Menschen“ im globalisierenden Weltwirtschaftsgeschehen. Letzteres sieht Rohrmoser zwar als gegeben und unaufhaltbar, - was er aber den Deutschen vorwirft, ist ihr Hang zur „Selbstabschaffung“ im Rahmen dieser Prozesse.

Wir verlieren in Deutschland unsere eigene Position: Wer ausser Geld nichts mehr sieht, hat keinen Inhalt. Und eine Gesellschaft ohne inhaltliche Position ist ideologieanfällig. Und an dieser Stelle wird die Aktualität und Übertragbarkeit von Thomas Mann's Position als „Diagnostiker des deutschen Bürgertums“ von Rohrmoser zwingend hergestellt: Auch Weimar hatte zu einem Identifikationsverlust der bürgerlichen Gesellschaft geführt. Der Rattenfänger Hitler hatte auch von daher leichteres Spiel.

Was Rohrmoser also in seiner Mann-Auseinandersetzung für den Leser erreichen will, ist folgende Erkenntnis:

Thomas Manns Konservativismus ist letztlich national und religiös fundiert. Auch die deutsche bürgerliche Gesellschaft muss ihre Inhalte wieder bestimmen.